dunst
28. - 30. Oktober 2005

>

 

PIRATEN, HÄNDLER, FERNE LÄNDER

logo_echo
  • Musik verbindet
  • Vom ersten europäischen Räubertreffen
  • Alte Instrumente und alte Lieder
  • Ausgezeichnet mit Spiel, Musik und Tanz
  • Wildweibchenpreisträger
       der ersten Stunde spricht
  • Igel am Rande des Ruins
  • Kasperle fasziniert stets
  • Erstling zeugt von Liebe zur Literatur
  • Furchtlose Ladys auf wilder See unterwegs
     
  • Musik verbindet
    Europäer in Concert: Jugendliche finden sich zu gemeinsamen Auftritt in der Michaelskirche

    REICHELSHEIM. 43 Augenpaare blickten aufmerksam zu dem agilen Mann in Anzug und Fliege, der auf dem Holzpodest stand und mit leisem „Un, deux, trois!“ und kräftigem Fingerschnipsen den Einsatz zur „Ouverture festive“ von André Waignein gab. Sogleich ertönte ein mächtiger Bläsersatz, begleitet von Schlagzeug und Glockenspiel, und füllte das Kirchenhaus bis in den letzten Winkel.
    Mit der majestätischen Weise des 1942 geborenen Brüsseler Musikprofessors eröffnete der Dirigent Monsieur Jean-Guy Jolly eine mitreißende Musikveranstaltung unter dem Motto „Junge Europäer in Concert“, an deren Ende sich die Zuhörer von den Bänken erhoben und mit anhaltendem Beifall ihre Begeisterung ausdrückten. Aus der Freude am gemeinsamen Musizieren war die Idee zu einem kurzfristig angesetzten Konzert während der Reichelsheimer Märchen- und Sagentage am Donnerstagabend in der Michaelskirche entstanden. Die Musiker des „Conservative de Musique de St. Malo“ und der „Ecole de Musique des Marais Dol de Bretagne“ (Frankreich) taten sich spontan mit dem Jugendposaunenchor und dem Posaunenchor Reichelsheim sowie der „Vornyik Gruppe Bonyard“, einem sechsköpfigen Ensemble aus der Musikschule in Nagymanyok (Ungarn) zusammen.
    Den größten Programmteil bestritten die Gäste aus Frankreich, deren Altersspanne von elf bis 62 Jahre reicht. Sphärische Klänge der keltischen Songs verzauberten ebenso wie das „Fest für Winde und Percussion“ von James Swearingen, in dem auf- und abschwellendes Brausen und Stürmen hörbar wurden. Im Stück „Shakel's for bank's“ von Jay Bocook, der Geschichte von wilden Mustangs, schien die Herde in rasantem Tempo vorbei zu galoppieren. Klassisch daher kamen hingegen zwei Beiträge der Posaunisten aus Reichelsheim unter der Leitung von Matthias Ernst. Festlich und moderat erklang von der Empore herunter der „Chorale St. Antoni“ aus der Feder von Joseph Haydn, imposant das Trio aus dem Marsch Nr. 1 „Pomp and Circumstance“ (Edward Elgar.) Zuhörer schmunzelten über das swingende, synkopierte „Be bell reader dry egg“, eine Komposition des Landesposaunenwarts Frank Vogel.
    Ganz anders die ungarische Volksmusik, geboten von vier Mädchen und zwei Jungen mit Violinen, Klarinette, Kontrabass, Gitarre und Triangel. Die sechs Jugendlichen spielten zwei turbulente tänzerische Weisen, während ihr gesungenes Volkslied von Schwermut geprägt war. Fetzig wurde es mit einem „Fast break“, vorangetrieben vom schnellen Bongo- und Schlagzeugtempo der Musiker aus Frankreich. „Oye como va“ (Tito Puente) und der “Banana Rock” (Steve McMillan) versprühten lateinamerikanische Lebensfreude. Fröhlich rief das Ensemble sein „Tequila“ in dem gleichnamigen Tanzstück.
    Ergriffen lauschte das Publikum dem abschließenden „Highland Cathedral“. „Freundschaft zwischen den Völkern“ – die Künstler dieses Abends haben erfolgreich den musikalischen Weg zu diesem Ziel eingeschlagen.

    Sabine Koch
    31.10.2005

    Alte Instrumente und alte Lieder
    Konzert: Gruppe Triskilian fasziniert mit ihrer musikalischen Reise ins Mittelalter ein großes Publikum in der Michaelskirche in Reichelsheim – Weiteres Element der Märchen- und Sagentage

    REICHELSHEIM. Ihre Musikrichtung bezeichnen sie als „Mittelalterweltfolk“, ihre Töne entlocken sie historischen Instrumenten, ihre Namen klingen fantasievoll und ungewöhnlich: Gemeint sind Kilian der Narr, Jule Sonnenklang, Qually Quallad und Silvia Lucia. Als Gruppe „Triskilian“ faszinierten sie ein großes Publikum am Freitag in der Michaelskirche mit einer musikalischen Reise ins Mittelalter.
    Vor den weiß getünchten Wänden des halb kreisförmigen Altarraums mit den Buntsandsteinecken trat das Quartett in prächtigen Gewändern auf: Die Frauen trugen schwarzrote Kleider, die Haare aus dem Gesicht gebunden. Percussionist Qually, mit Glatze und in weitem Hemd und Hose aus silberdurchwirktem Stoff, widmete sich schweigend, aber hingebungsvoll seinen Trommeln und Schellenkränzen sowie einem mächtigen Gong. Kilian, dessen Eigenkompositionen auch zum facettenreichen Repertoire gehören, verkörperte im purpurroten Umhang mit seinem gescheitelten, schulterlangen Haar anschaulich den mittelalterlichen Troubadour. Alle Füße steckten in Lederschuhen mit hochgebogenen Spitzen.
    Ob es sich um ein schnelles schwedisches Intro handelte, ein freches Lied des Minnesängers Oskar von Wolkenstein, eine uralte schottische Ballade oder ein jüdisches Liebeslied: Von Anfang an erwiesen sich die Künstler als Multi-Instrumentalisten, und die beiden Frauen samt Kilian als hervorragende Interpreten der teilweise Jahrhunderte alten Gesänge. So beherrschten sie vorzüglich Sackpfeife, Schalmei, Drehleier, Harfe und Schlüsselfidel neben diversen Flöten und Trommeln.
    Beim verträumten „Tourdion Arabica“ entlockte Jule ihrer Flöte zarte Triller, unterlegt von perlenden Harfenklängen. Ihr nuancierter Stimmeinsatz von kräftig und durchdringend bis weich und zart erzählte lautmalerisch vom Orient. Die ihr eigene Musikalität spiegelte sich auch im ausdrucksvolle Mienenspiel und ihrer lebendigen Gestik wieder. Als Jule Bauer 1978 in Aschaffenburg geboren, lernte sie klassische Gitarre und hatte Unterricht für Klavier und Kontrabass. Sie weist zudem eine Ausbildung mit Schwerpunkt „mittelalterliche Gesänge“ auf.
    Als wahrer Artist auf der überdimensionalen Handtrommel erwies sich Qually alias Thomas Wallert beispielsweise bei einem heiteren Stück aus der Auvergne. Sein ganzer Körper war in Bewegung, wenn er mit den Händen zum einen graziös und liebevoll über das großflächige Trommelfell strich, zum anderen dynamisch und akzentuiert den Rhythmus auf der kelchförmigen Darabuka schlug. Der 1976 am Untermain geborene ehemalige Erzieher mit ausdrucksstarker Mimik hat Erfahrungen mit Musikprojekten und Theaterpädagogik gesammelt und agierte als Trainer bei Kinder und Jugendzirkussen, seit 2002 gehört er zum Ensemble.
    Konzentriert und ganz in ihr Harfenspiel versunken schien die neunzehnjährige Silvia „Lucia“ Lehmeier, die in Treuchtlingen das Licht der Welt erblickte. Sie erhielt Unterricht im Akkordeonspiel und Chorgesang, ist Autodidaktin auf der Harfe und singt die zweite Frauenstimme. Seit September 2004 gehört sie zu Triskilian.
    Dirk Kilian gründete zusammen mit Jule Bauer im Jahr 2000 die Musikformation, deren Mitglieder aus Darmstadt, Pappenheim und Karlstein kommen. Der 1963 geborene „naturreligiöse Spinner und Träumer“ agiert als Pantomime, Trapezartist, Geschichtenerzähler, Zauberer, Dichter und Komponist für Triskilian. Harfe, Dudelsack und Drehleier brachte er nun zum Klingen.
    Nach der Pause wurde musikalisch die Mongolei durchritten, die Türkei und Bulgarien mittels geschwinden Tänzen und sehnsüchtigen Liebesliedern gestreift. In Englands hohem Norden fragte eine schmeichelnde Melodie nach dem Schlafplatz König Artus’, bevor Jule Sonnenklang und Kilian der Narr ein bestrickendes Duett anstimmten, untermalt von Silvia Lucias feinem Harfengespinst und Quallys wohlgesetzten Trommeltupfern: „Liebeslied für Romantiker“. Nach heftigem Beifalls wurde die Reise um ein spanisches Pilgerlied und ein bulgarisches Liebesgeständnis erweitert.
    Wie die „drei in Bewegung miteinander verbundenen Spiralen, deren jede ins Unendliche reicht“ – so die Definition des alten Kultsymbols „Triskilian“ – zeigte sich die universelle Palette des „Mittelalterweltfolks“. Der einzigartige Mix des Konzerts bot einen gelungener Auftakt zu den Märchen- und Sagentagen.

    Sabine Koch
    1.11.2005

    Vom ersten europäischen Räubertreffen
    Kultur: „Piraten, Händler, ferne Länder“ lockt als Motto der zehnten Reichelsheimer Märchen- und Sagentage Tausende an

    REICHELSHEIM. Wie eigens für die Reichelsheimer gemacht, so schien das Wetter an diesem sonnigen Spätherbst-Wochenende zu sein, und lockte tausende Besucher in das Gersprenzstädtchen zu den 10. Reichelsheimer Märchen- und Sagentagen. Die standen in diesem Jahr unter dem Motto „Piraten, Händler, ferne Länder“. Zahlreiche Vaganten, Ritterfräulein, Musikanten und anderes bunt gekleidetes Volk tummelten sich auf den Straßen und Plätzen im Ortskern.
    An gleich mehreren Austragungsstätten fanden unterhaltsame oder informative Vorträge, Lesungen, Konzerte und Theateraufführungen statt. Da fiel die Wahl schwer, denn Vieles wurde zeitgleich geboten. Hier also nur einige Streiflichter über das bunte Programm und die tröstliche Gewissheit, dass die Zeit nach den Märchen- und Sagentagen auch die Zeit vor diesen Tagen ist, und dass Gemeinde, Autoren und Kleinkünstler bereits damit angefangen haben, das nächstjährige Fest zu planen.
    Ein absolutes Muss für alle Märchen- und Geschichtenfreunde ist die Lange Nacht der Märchen, die im Jahre 2002 in das Festprogramm integriert wurde und sich seitdem wachsender Beliebtheit erfreut. Allerdings verlangte das Programm, das um 19 Uhr im Schwarzkopfsaal des Europäischen Jugendzentrums begann und bis nach Mitternacht andauerte, den Teilnehmern einiges an Sitzfleisch ab. Viele der zeitweilig rund hundertzwanzig Zuhörer hielten jedoch bis zum Ende durch.
    Karola Graf aus Himmelstahl im Bayerischen trug voll mitreißender Begeisterung Geschichten aus dem osteuropäischen Raum vor, und erzählte unter anderem, wie ein Bauer dem Elend entkommen konnte oder wie Maruschka es anstellte, um mitten im Winter Veilchen, Erdbeeren oder Äpfel zu pflücken.
    Der aus Kamerun stammende, in Brensbach wohnende Theologe und Schriftsteller Jean-Félix Belinga-Belinga las zunächst ein Kapitel seines weit verzweigten Romans „Ngono Mefane, das Mädchen der Wälder“ vor, bevor er sich ans freie Erzählen wagte und die Zuhörer mit Aguila vertraut machte, dem gutherzigen afrikanischen Jungen, der seine Zauber-Maiskörner so klug einzusetzen verstand. Die Frankfurterin Hannelore Marzi, auch sie keine Unbekannte bei den Reichelsheimer Märchentagen, entführte die Besucher in die geheimnisvolle Welt des Orients. Jens Gottschalk aus Dahlem hingegen spannte den geografischen Bogen seiner Erzählungen über Westeuropa und erzählte Märchen aus Spanien, Frankreich, Schweden und Norwegen.
    Professor Heiner Boehncke schließlich, bis vor kurzem Programmleiter für das Kulturprogramm des Hessischen Rundfunks, erwies sich als profunder Kenner und Forscher auf dem Gebiet renommierter Piraten und Räuber. Zwar zweifelte er die geschichtliche Existenz sowohl vom Schinderhannes als auch von Störtebeker an, – „Jedes Zeitalter backt sich den Störtebeker, den es braucht.“ – hatte zum Ausgleich dafür jedoch andere spannende Geschichten auf Lager: Vom bayerischen Wilddieb Hiesel etwa, der 1780 das erste europäische Räubertreffen in Villingen organisiert hat, oder von Baltasar Cossa aus Neapel, einem Piraten und „Finsterling übelster Sorte“, der es 1410 als Papst Johannes XXIII sogar zu höchstem, kirchlichen Ansehen gebracht habe.
    Mit seinem locker über die Zuhörer ausgeschütteten Wissen, vielen losen Bemerkungen und kabarettreifen Bezügen zur aktuellen Politik schaffte Boehncke es mühelos, sein Publikum zu begeistern.
    Und als er dann auch noch die Gitarre ergriff, selbst Gedichtetes und Komponiertes vortrug, da gab es kein Halten mehr, da sangen auch ungeübte Kehlen den Refrain mit.

    Kirsten Sundermann
    31.10.2005

    Ausgezeichnet mit Spiel, Musik und Tanz
    Preisverleihung:
    Prominente Politiker gratulieren Wildweibchen-Preisträger Erhard Dietl in der Reichenberghalle

    REICHELSHEIM. Ruhiges Klavierspiel Maximilian Höhlis vom Musikinstitut Lindenfels/Reichelsheim eröffnete die Wildweibchen-Preisverleihung bei den Märchen- und Sagentagen in der Reichenberghalle am Samstag. Bürgermeister Gerd Lode begrüßte die zahlreichen Gäste.
    In seinem anschließenden humorvollen Grußwort beschrieb der Regierungspräsident für Rhein-Main Südhessen, Gerold Dieke, der 2005 die Schirmherrschaft inne hat, seinen persönlicher Bezug zu dem aktuellen Motto „Piraten, Händler, ferne Länder“: Als Sohn eines Textilhändlers mit der Vorliebe für Piratengeschichten erlebte er das ferne Land Südamerika bei Besuchen des nach dort ausgewanderten Bruders. Die Einrichtung der „Reichelsheimer Märchen- und Sagentage“ sei ein Glücksfall für die Region Odenwald, der bis dato schon 400 000 Besucher angelockt hat. Er sprach dafür die Anerkennung der Regierung aus und verlieh den „Vätern“ dieser Veranstaltung , Winfried Christian Schmitt und Hans-Christian Kirsch, eine symbolische Silbermünze samt Urkunde.
    Landrat Horst Schnur hielt die Laudatio für den Wildweibchenpreisträger 2005 Erhard Dietl. Für das 2001 erschienene Kinderbuch „Otto der kleine Pirat“ wurde der 1953 in Regensburg geborene und in München lebende Autor ausgezeichnet. Der Landrat geriet richtig ins Schwärmen, als er vom kleinen Otto erzählte, der inmitten rauer Burschen auf dem Piratenschiff „Wilde Hilde“ lebt, unter einer kratzigen Decke schläft und vom weichen Federbett und einem Kühlschrank voller Grütze träumt. Das „Märchen der heutigen Zeit“ sei „spannend und lustig, komisch und satirisch und doch voller Wärme“. Es stelle Normen in Frage, ermutige zu unkonventionellen Lösungen und lade zum Weiterträumen und kreativ sein ein.
    Erhard Dietl, Vater zweier Kinder, ist nicht nur ein begnadeter Dichter, Erzähler und Erfinder der „Olchis“, einer Müllmonster-Familie, sondern auch ein Zeichner, der seine und andere Bücher (Christine Nöstlinger, Kirsten Boje, Manfred Mai) liebevoll illustriert. Er absolvierte eine Ausbildung zum Grafiker und schloss ein Kunststudium „Angewandte Grafik“ an der Münchner Akade-mie für bildende Künste mit Diplom ab. Als Zeichner wirkt er für das „Zeit-Magazin“ und den „Stern“ sowie die Kinderzeitschriften „Spielen und Lernen“ und „Sesamstraße“. „Ich denke, ich bin Zeichner und Geschichtenerzähler. Ich liebe die Abwechslung, und wie schön ist es, nach längerer Schreibarbeit wieder zum Pinsel greifen zu können. Und wenn ich eine lange Strecke gezeichnet habe, freue ich mich wieder aufs Geschichten basteln und aufs Sätze formulieren. Dass ich beides machen kann, ist für mich ein großes Glück“, so der Preisträger.
    Dass er auch als erfolgreicher Komponist und Liedermacher mittlerweile drei CD's besungen hat, wurde den Zuhörern nicht vorenthalten.
    Ein sichtlich berührter und strahlender Erhard Dietl nahm sodann aus der Hand von Karl Heinz Ihrig von der Sparkasse Odenwaldkreis die Skulptur aus Mammutelfenbein und geschwärztem Stahl entgegen. Die zwanzigjährige angehende Elfenbeinschnitzerin Ulla Pfannkuch hat das zierliche Unikat geschaffen. Bürgermeister Gerd Lode überreichte Urkunde und Geldpreis der Gemeinde Reichelsheim. In einer kurzen Ansprache dankte Erhard Dietl für Anerkennung und Preis, die ihm unvermutet zuteil geworden seien. Sie hätten ihn aus seiner „Autoreneinsamkeit“ zu diesem tollen Fest gelockt und seine Kontakte zu den großen und kleinen Lesern wieder belebt.

    Unter der kompetenten und liebenswürdigen Moderation von Jochen Rietdorf eröffneten die Musiker aus der französischen Partnerstadt Dol de Bretagne mit ihrem Dirigenten Jean-Guy Jolly das Rahmenprogramm mit lebhafter Konzertmusik. Ihr mitreißendes „Tequila“ wurde dem begeisterten Publikum nochmals als Zugabe gewährt, bevor die Gäste aus Ungarn die Bühne betraten. Grundschüler aus Nagymanok spielten die beiden Anfangsszenen aus dem ungarischen „Matyi, der Gänsejunge“ Volksmärchen und wurden von einem Ensemble der Bonharder Musikschule mit ungarischer Volksmusik begleitet. Beeindruckend: Die Aufführungssprache war deutsch.
    Die Rohrbacher Kids führten einen Western-Tanz vor zur Musik „Cotton Eye Joe“. Unter der Leitung von Kerstin Kabel und Gisela Seibert wirbelten die kleinen Cowgirls temperamentvoll in Stiefeln und Hüten über die Bühne.
    Aus fernen Landen zurück aufs Meer: Das Kindertheaterstück „Der Goldschatz“ stammt aus der Feder von Renate Gribat, Rektorin der Reichenbergschule. Die Klasse 4c unter der Leitung von Jutta Baumann setzte das erheiternde Stück in Szene.
    Die Jazztanzgruppe des SV Ober-Kainsbach lud zur tänzerischen Weltreise bei fetziger Musik ein. Flugkapitän Sandra Schneider lotste ihre Passagiere schwungvoll von Rom über Afrika nach Nord- und Südamerika.
    Dann beeindruckte die Folkloregruppe Male Podhale aus Jablonka/Polen in bunten Trachten mit ihren Volkstänzen. Alphornblasen und ein „Kuhglockenkonzert“ ergänzten das musikalisch begleitende Streicherensemble.
    Von Andrea Dippon-Meyer und dem Kinder- und Jugendchor der evangelischen Michaelskirche wurden die Zuhörer in das Land des Musicals entführt: Aus dem „König der Löwen“ erklangen Höhepunkte wie „Can you feel the love tonight“ und Simbas rockiges „Ich will jetzt gleich König sein“.
    Eine moderne Variante des Andersen-Märchens „Des Kaisers neue Kleider“ stellte die Märchenerzählerin Hannelore Marzi vor.
    „Peter Pan und die Disneypiraten“ hieß der pantomimische Erzähltanz, den die Pearls und die Jumping Bubblegums des KSV Reichelsheim auf dem Weg nach Lummerland darboten. Den Schlusspunkt setzten die „Spirit Girls“ der Aerobic Gruppe der Turner des KSV Reichelsheim mit einem Indianertanz, choreographiert von Doris Reinhard.

    Sabine Koch
    31.10.2005

    Wildweibchenpreisträger der ersten Stunde spricht
    Vortrag: Autor Willi Fährmann versucht im Jugendzentrum für das Lesen zu begeistern

    REICHELSHEIM. Als weitere Sternstunde der diesjährigen Märchen- und Sagentage erwies sich der Vortrag des Wildweibchenpreisträgers der ersten Stunde (1996) Willi Fährmann, der am Samstagmorgen im Europäischen Jugendzentrum gekonnt und humorvoll über „Die Kunst, das Lesen zur Freude zu machen“ sprach. Als gelernter Maurer und späterer Schulamtsdirektor, so Moderator Bernhard Frassine bei der Vorstellung des Referenten, sei Fährmann geradezu dafür prädestiniert, als Bindeglied zu fungieren zwischen Theorie und Praxis, zwischen Jugend und Erwachsenen. Es zeigte sich in der Tat, dass der 1929 in Duisburg geborene Autor viel einfühlendes Verständnis besitzt für die Probleme der jungen Generation.
    Zunächst räumte er mit einigen Vorurteilen auf. Es stimme nicht, wies er nach, dass junge Leute kaum mehr lesen. Rund 40 Prozent der fünfzehnjährigen Mädchen geben „Lesen“ sogar als „Lieblingsbeschäftigung“ an. In der Grundschule würden drei von vier Kindern erklären, gern zu lesen.
    Es seien in den Haushalten auch noch nie so viele Bücher vorhanden gewesen wie heute, und Bücher seien – im Verhältnis zum Haushaltseinkommen – im Lauf der Jahre keineswegs teurer, sondern billiger geworden. Das Fernsehen allerdings trage viel dazu bei, dass die Lust am Lesen verloren gehe.
    Fernsehen lähmt die Fantasie, klagte Fährmann. Es beeinträchtigt die Konzentrationsfähigkeit und überflutet mit einer Vielzahl flüchtiger Bilder. Außerdem verleitet es die Kinder dazu, fremde Erfahrungen zu konsumieren, statt eigene Abenteuer zu erleben. Wichtig hingegen sei das gesprochene Wort, die persönliche Zuwendung der Erwachsenen zu den Kindern, in Form von Erzählen, Vorlesen, Theater spielen oder Rätsel erfinden. Kinder seien zudem fasziniert, wenn man ihnen „von früher“ berichtet.
    Auch gebe es heute so viele gute Bücher, „wahre Inseln der Poesie“, dass jedes Kind darunter etwas Spannendes finden könne. Erwachsene sollten keine Sorge haben, wenn die Kleinen sich mal eine Weile für Trivialgeschichten begeistern. Das sei immer noch besser, als ihr Interesse am Buch „totzuschlagen“, was passieren könne, wenn sie zu früh mit manchen Klassikern konfrontiert werden. Man solle Kindern zudem nur Bücher schenken, um ihnen Lese-Vergnügen zu bereiten und ihre Fantasie anzuregen.

    Kirsten Sundermann
    31.10.2005

    Igel am Rand des Ruins
    Lesung: Erhard Dietl zeichnet Bilderrätsel und trägt zwei seiner Geschichten vor

    REICHELSHEIM. Fantasievoll ging es bei Erhard Dietl zu, dem diesjährigen Wildweibchenpreisträger aus München. Der gelernte Grafiker und Mitglied der Münchner Kunstakademie, der die „Olchis“ erfunden hat, diese ebenso stinkenden wie stinkfaulen grünen Wichte mit den Hörhörnern, erzählte am Samstagnachmittag im Rathaus von seinen Anfängen als Illustrator, und zeichnete den eigenen Namen als Bilderrätsel.
    Dietl, der rund fünfzig Bücher geschrieben und illustriert hat, brachte mit lockerem Edding zudem eines seiner legendären Olchis zu Papier und las zur Freude der Kinder und der noch zahlreicher erschienen Erwachsenen zwei seiner Geschichten vor. Einmal vom Bären, auf dem die Mäuse wippen und rutschen durften, und dann die Geschichte, wie Herr Igel an den Rand des Ruins und eines Nervenzusammenbruchs kommt, weil so ziemlich alles schief geht in der Zeit, in der Nachbar Hase auf Urlaub auf den Kanarischen Inseln weilt.

    Kirsten Sundermann
    31.10.2005

    Kasperle fasziniert stets
    Theater: Eine Aufführung des Puppenspiels zieht Kinder und Erwachsene in ihren Bann

    REICHELSHEIM. Viel Spaß hatten Kinder bei einer Kasperle-Aufführung, selbst wenn sie modisch verbrämt unter dem Titel „La Paloma – oh weh“ daherkam. Kasperle und die blinde Passagierin Finnie überlisten dabei den finsteren Piratenkapitän Safran Skorbut und dessen nicht weniger fiesen Steuermann Schlabber-Sabber.
    Über hundert Kinder und einige Eltern halfen durch lautes Zurufen tüchtig mit, und freuten sich zudem über den Tintenfisch Carla Maries, der so schön Cancan tanzen konnte, nachdem Kasperle seine Beine entknotet hatte. Viel Lachen löste der Leiter des Puppentheaters Putschenelle, Werner Labisch aus Zell am Main auch mit seinen Zwischenakten aus, als er per Hai durch die Wogen zischt, oder als Seejungfrau Arielle auf der Leier spielt. Die weiblichen Stimmen der Figuren sprach Elke Schütz-Stefenelli.

    Kirsten Sundermann
    31.10.2005

    Erstling zeugt von Liebe zur Literatur
    Buchautor: Bernhard Bergmann präsentiert zu Märchentagen seine Erzählung „Zeitlose“

    BRENSBACH. Ein Buch zum Nachdenken, ja vielleicht auch zum Weiterlesen in den Werken anderer Autoren hat Bernhard Bergmann aus Brensbach schon vor Jahren während seines Studiums geschrieben und jetzt im Verlag Ellen Schmid in seinem Heimatort herausgebracht. „Zeitlose“ lautet der Titel der Erzählung.
    Treffend begründet der Autor diese literarische Einordnung seines Erstlingswerks, denn in dem gut 50 Seiten umfassenden kleinformatigen Büchlein geht es um die Sagenwelt des westlichen Odenwalds: „Der Sagenstoff wurde ja meist erst mündlich weitergegeben, erzählt eben.“ Da passt Erzählung ganz gut. Und schließlich handelt es sich auch nicht um einen Roman.
    Bernhard Bergmann (34) weiß, wovon er spricht. Geboren in Groß-Gerau, wuchs er ab dem dritten Lebensjahr in Reichelsheim auf. Das Gersprenztal verließ er, um in Darmstadt, Passau und Heidelberg zu studieren: Germanistik, Literaturwissenschaft und Theologie. Zwischendurch war er journalistisch tätig, auch für diese Zeitung. Heute arbeitet Bergmann als Referent für Öffentlichkeitsarbeit beim evangelischen Dekanat Erbach. Sein Lebensweg führte ihn also zurück in den Odenwald und wieder ins Gersprenztal, wo er mit seiner Frau Bettina Nicklas-Bergmann lebt, die in Brensbach eine Pfarrstelle innehat.
    „Ich setze mich gern schreibend mit den Dingen und der Welt auseinander“, sagt er. So versucht er, sie zu verstehen und mit zu gestalten. In seinem Beruf muss er über Dinge berichten, sie journalistisch aufbereiten, das ist die Pflicht, sagt er. Die Kür sieht Bergmann im kreativen Schreiben, in der Belletristik. Da kann er sich „poetisch mit der Wirklichkeit auseinander setzen“.
    Entstanden ist die Erzählung kurz nach seiner intensiven Beschäftigung mit Adalbert Stifter. Sie erwuchs aus dem Interesse an Geschichte und Heimatgeschichte, doch der Schreiber nutzte seinen Freiraum losgelöst von den reinen Fakten, obgleich die Eckdaten stimmen. „Die Fantasie ist als Handlangerin der Literatur recht hilfreich.“
    Und wie kam er nun zu seinem Stoff? Die Rodensteinsage bildete den einen Teil, das Kennenlernen von Passau und Umgebung als Student den anderen. Beeindruckt von den Schauplätzen der Geschichte befasste sich Bergmann mit Adalbert Stifter. Und da waren noch so zufällige Übereinstimmungen wie die von Stifter beschriebene Burg Rothenstein im bayerischen Wald. Antrieb zum Schreiben gab der Wille, beides miteinander zu verknüpfen.
    Als idealer Zeitpunkt zur Veröffentlichung erschien dem Autor der Oktober 2005, denn da jährte sich der Geburtstag des Schriftstellers Adalbert Stifter zum zweihundertsten Mal und die Reichelsheimer Märchentage boten sich als Forum zur Buchvorstellung geradezu an. So las denn auch Bernhard Bergmann am Sonntag bei den Märchen- und Sagentagen in der Buchhandlung Ellen Schmid aus seinem druckfrischen Werk. In dem Brensbacher Verlag der Buchhändlerin ist die Erzählung „Zeitlose“ in einer Erstauflage von 700 Stück auch erschienen. Den Buchumschlag gestaltete Angela Schmidt, und die teils bunten Illustrationen stammen von Eva-Maria Arnold.
    Eine zweite Erzählung hat der Autor bereits in der Schublade, ebenso einen Roman. Gedichte schreibt er außerdem. Doch vor einer weiteren Veröffentlichung will er zunächst die Resonanz auf sein Erstwerk abwarten.
    „Zeitlose“ ist eine Erzählung von Bernhard Bergmann, im Oktober 2005 beim Verlag Ellen Schmid in Brensbach erschienen. Das Buch hat 51 Seiten, ist schwarzweiß und bunt illustriert und kostet im Buchhandel 10,80 Euro; ISBN 3-931529-05-3.

    Elmar Streuner
    1.11.2005

    Furchtlose Ladys auf wilder See unterwegs
    Hollerbusch: Erzähl- und Spielgemeinschaft widmet ihr neues Programm Frauen, die das Abenteuer und die Weite suchten und die dabei mitunter zu Piratinnen wurden

    REICHELSHEIM. Zu einem runden Erfolg geriet am Sonntag die Premiere des neuen Programms der Odenwälder Erzähl- und Spielgemeinschaft Hollerbusch: „Und wenn der Kopf fällt, sag ich Hoppla“, hatten die Frauen das Stück betitelt. Vorgestellt wurde es anlässlich der Reichelsheimer Märchen- und Sagentage. Der Zulauf im Sitzungssaal des Rathaus war so gewaltig, dass die Bestuhlung durch herbeigeschleppte Bierbänke ergänzt werden musste. Auch viele Kinder, einige von ihnen mit Degen und Augenbinde kostümiert, fühlten sich von dem Titel angezogen.
    Respektlos und frech räumten die Hollerbusch-Frauen mit dem Vorurteil auf, dass ein Pirat immer männlich sein müsse. Frauen kennen den Wunsch nach Weite und Abenteuer genauso gut wie Männer, erklärte Ilse Krüger von der rührigen Odenwälder Spielgemeinschaft. Diese Behauptung untermauerte sie zusammen mit ihren kreativen Mitstreiterinnen Barbara Linnenbrügger, Maria Thriesethau, Inge Baader und Liesel Mehring mit historischen Beispielen.
    Überliefert ist demnach, dass bereits im dritten Jahrhundert v. Christus eine Teuta von Illyrien selbstbewusst und rabiat für Frauenrechte zu Wasser und zu Lande einzutreten wusste, und dass auch in Berichten über Wikinger-Überfälle im siebten bis zehnten Jahrhundert „weißmähnige Wogengöttinnen“ auftauchen.
    Das im Mittelalter geltende Strandrecht begünstigte zudem das Entstehen von Piratenbanden rechts und links des Ärmelkanals, denn danach sollte alles, was an Land gespült wurde, dem Finder gehören. Und was lag da näher als ein bisschen nachzuhelfen, damit auch ordentlich etwas heran gespült werden konnte?
    Für Jeanne de Clisson war jedoch Rache für ihren auf Befehl des französischen Königs im Jahr 1343 geköpften Ehemann der Beweggrund, zu einer der brutalsten Piratinnen des 14. Jahrhunderts zu werden. Gefürchtet war auch die Killigrew-Lady, die ihr Handwerk im 16. Jahrhundert quasi syndikatsmäßig betrieb und durch ihre vielfältigen Kontakte zu Politik und Geldadel vor Strafe ziemlich sicher war. Und voller Außenseiter-Romantik ist auch die Geschichte von der Irin Grace O'Malley, die schon mit neun Jahren an ihrer künftigen Kapitäninnen-Laufbahn strickte und sich Mitte des 16. Jahrhunderts als erfolgreiche Piratin und Clan-Chefin durchsetzte.
    Aufgelockert wurde die Lesung von kleinen Spielen und umgedichteten Seemannsliedern, bei denen das Publikum die Refrains mitsang. Freude lösten auch die Aktivitäten der „Seefrauen“ auf der Bühne aus, da wurden so ganz nebenbei Netze geflickt, Angeln ausgeworfen, eine Schatzkiste an Land gezogen und „Golddukaten“ verteilt. Gelegentlich ließen die wackeren Frauen auch einen Sturm über dem Meer aufziehen, akustisch dargestellt mit Hilfe von Ocean Drums (rollende Kugeln in einer Art Tamburin), einem Schwirrbogen als Windmaschine oder einem Stück Stahlblech, mit dem sich prächtig donnern ließ.

    Kirsten Sundermann
    2.11.2005

    Copyright © 2005
     Ch. Frank,
    Frank-Laudenau@t-online.de,
    Letzte Aktualisierung:
    01.11.2005

    [Hauptseite] [Sponsoren] [Anfahrt] [Programm] [Mittelaltermarkt] [Kontakt] [Gästebuch] [Impressum]

    Informationen  bei Jochen Rietdorf, Gmd. Reichelsheim, Bismarckstraße 43,
    64385 Reichelsheim, maerchentage@reichelsheim.de, Telefon 06164 / 508-38